Inspector Cadfael - Leseprobe

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Kriminalromane von Andreas Kühn

Inspector Cadfael und der Eulenmörder

Kapitel 1

Nasse, nieselige Nebelschwaden hingen sanft über den Wiesen und Feldern des Linken Niederrheins und tauchten den Märzmorgen in ein fahles Licht. Schwach leuchtete die Sonne durch den Dunst, schwach wie eine 6L6GC Endstufenröhre. Wolken trieben am Himmel vorbei und wussten nicht recht, ob sie sich abregnen sollten oder nicht.
Auf einem Acker tanzte eine dunkle Gestalt, in einen löchrig, lottrigen Lederlappen gehüllt, ekstatisch umher und gab unverständliche Worte von sich. Die Menschen und Tiere, die auf der angrenzenden Bundesstraße in ihren Autos an ihr vor­bei rauschten, beachteten sie nicht. Bis auf ihr weißes, stark gestärktes Hemd, ihre Weste und ihre perfekt sitzende weiße Fliege war die Person ganz in Schwarz gewandet. Ihr Anzug war zwar alt, aber von feinstem Zwirn. Das dunkle Haar hatte sie mit Unmengen Pomade, wie in schwarzen Marmor gemeißelt, zurückgekämmt. Das Fett glänzte trotz des fahlen Lichts auf ihren hervorragend gewichsten, handgemachten schwarzen Lederschuhen, die bestimmt von einem der teuersten Herrenausstatter aus London oder Paris nach Maß angefertigt worden waren. Wenn das Wesen seine Lippen schürzte, blitzen sei­ne Eckzähne, schimmerndem Elfenbein gleich, bedrohlich in die Welt. Es lachte diabolisch und ein unheilvolles Lächeln zeigte sich auf seinen Wangen.
Zwei Kaninchen starrten gebannt auf die außergewöhnliche Darbietung. War das echt, oder hatten sie letzte Nacht zu viele Mohrrübenblätter geraucht? Die beiden Kaninchen sahen sich an und das eine meinte zum anderen: "Yo, maaan!", und nickte mehrmals mit dem Kopf, "Der Typ hat's drauf!", und formte mit seinen samtig, seidenen Pfoten das Siegeszeichen. Das andere Kaninchen schwieg vielsagend und blickte erneut auf die wirr tanzende Gestalt, die ihren Lederlappen auf und nieder bewegte und in fremden Zungen daher brabbelte. Die Nackenhaare des Kaninchens stellten sich auf und es dachte bei sich: 'Ich muss dringend aufhören zu kiffen!'
Auf dem angrenzenden, leeren, großen Waldparkplatz, der an drei Seiten von Eschen, Erlen, Ahorn und einer gewaltigen Linde eingesäumt war und zu einem Trimm-dich-Pfad aus den 1970er Jahren führte, bewegten sich langsam flauschige, weiß-braune Federn im zarten Spiel des Windes.
Große Augen starrten blicklos auf die sich ständig wandelnden, vorbeiziehenden Schäfchenwolken, die von besserem Wetter kündeten.
Die Eule war tot...
 
Schrill klingelte das Smartphone und riss Detective Inspector Cadfael aus seinem unruhigen Schlaf. Wo war er? Nur langsam kam er zu sich. Konnte das sein? Nein, nicht schon wieder! Er spürte das kalte, verzinkte Eisen an seinen Hinter­pfoten. Nicht schon wieder in der Mülltonne eingeschlafen?! Zum Glück hatte er noch das meiste seines warmen, wuscheligen Winterfells, so dass er zumindest nicht fror. Cadfael drückte auf sein Smartphone und meldete sich mit brummiger, heiserer, verkaterter Stimme: "Ja?"
Am anderen Ende der Leitung meldete sich die liebliche Stimme von Detective Sergeant SumCeBee: "Guten Morgen, Inspector."
"Was soll an diesem Morgen gut sein!", knurrte der DI.
"Tut mir leid, dass ich Sie störe, Sir, aber wir haben einen Toten auf dem Waldparkplatz auf der Bönninghardt, an der Bundesstraße bei Issum. Kommen Sie vorbei?"
"Haben Sie bereits alle verständigt?", fragte der Inspector.
"Ja, Sir. Alles Nötige wurde bereits veranlasst.", antwortete Sergeant SumCeBee gut gelaunt.
"Ich brauche eine gute halbe Stunde, dann bin ich da.", murmelte Cadfael im Halbschlaf und drückte das Gespräch weg. Er musste erst einmal zu sich kommen - und aus dieser Mülltonne heraus...
 
 

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